JOHANNES VON SAAZ | STADTNOTAR, SCHULMEISTER, HUMANIST

Widmungsbild des Hieronymus-Officiums, das Johannes von Saaz (im Bild rechts) für den Hieronymusaltar in der Stadtkirche von Eger gestiftet hat.

Johannes Henslins, der Dichter des „Ackermann aus Böhmen“, kam im westböhmischen Schüttwa (Šitboř) zur Welt, um 1350, wie man vermutet, wahrscheinlich als uneheliches Kind des Pfarrers, der dafür sorgte, dass sein Sprössling eine gute Ausbildung bekam. Jedenfalls wurde er in der Lateinschule der Prämonstratenser in Teplá (Tepl) erzogen. Diese galten als eine der fortschrittlich sten Ordensgemeinschaften, was zur Geistesentwicklung des Schülers bestimmt beitrug. Johannes Henslins nannte sich in lateinischen Texten meist nach seiner Geburtsstadt Iohannes ​Henslini de Sitbor (von Schüttwa). aber auch Johannes deTepla (von Tepl).
Da er die meiste Zeit seines produktiven Lebens in Saaz (Žatec) verbrachte, gab man ihm später den Namen „Johannes von Saaz“ (Jan ze Žatce). Er selbst zeigte seine Verbundenheit mit Saaz, indem er seinen „Ackermann“ dort ansiedelte.

Wohnend im Böhmerland, in einer festen, hübschen Stadt, auf einem Berge wehrhaft gelegen“: Viel anders hat Saaz wohl auch nicht ausgesehen, als Johannes von Saaz hier Stadtnotar war. Auch eine steinerne Brücke über die Eger gab es damals schon. Nur trug die Marienkirche noch keine Zwiebelhaube. Dafür ist auf dem Bild noch die alte Burg zu erkennen. Ansicht aus dem 19. Jahrhundert (Foto: Regionalmuseum Saaz).

Er sei, sagt dieser, „wohnend im Böhmerland, seit neuestem in einer festen, hübschen Stadt, auf einem Berge wehrhaft gelegen; ihr haben vier Buchstaben – der achtzehnte, der erste, der dritte und der dreiundzwanzigste im Alphabet – einen Namen geflochten“. Daraus ergibt sich nach dem damaligen Alphabet: S.A.C.Z, also Saaz in der damaligen deutschen Schreibeweise.
Ist unser Wissen über Kindheit und Jugend schon lückenhaft, so gilt das erst recht für sein Leben bis zur Ankunft in Saaz, und selbst deren Datum ist nicht sicher. Wir können darüber nur Vermutungen anstellen. In einem Brief aus Tepl, der spätestens 1378 geschrieben sein kann, wird er bereits als „Notar in Saaz“ bezeichnet. Zu der Zeit war er um die 28 Jahre alt, ein gestandener Mann nach damaligen Begriffen. In dem Brief wird er im Übrigen dominus („Herr“) genannt, er war also Familienvater. Aber was hat er davor getrieben?

Prämonstratenser-Stift Tepl (Teplá) 50 km südwestlich von Eger.

Sicher ist nur, dass er eine höhere Ausbildung genossen haben muss. „Notar“ oder „Stadtschreiber“ war damals weit mehr, als der Titel heute vermuten lässt. Der Stadtnotar (civitatis notarius) gehörte zur Stadtelite. Als lateinkundiger Protokollant, Rechtsgutachter, Rechtsbeistand und Verwalter der Urkundenrolle nahm er nicht nur an Rats- und Gerichtssitzungen teil, er wirkte auch als Diplomat in den Beziehungen zu anderen Städte und Herrschaften sowie zum König.
Zumindest Rechtswissenschaften sollte man dafür studiert haben. Doch zu den Lücken in der Überlieferung gehört, dass es für ein Studium an der Prager Universität keinerlei Belege gibt. Das kann daran liegen, dass die entsprechenden Matrikel in Kriegswirren verloren gingen oder dass er in Paris studierte, wozu es im „Ackermann“ einen Hinweis gäbe (18. Kapitel). Johannes wurde später als magister angesprochen, bezeichnete sich aber offiziell nicht so. Möglich, dass ihm der Magister-Titel wegen unehelicher Geburt verwehrt war.
In Saaz selbst ist er erstmals 1383 verbürgt. In diesem Jahr begann er als Notar mit dem Saazer Stadtbuch, einer Urkundensammlung, die später auch erzählende Einträge bekam. Das Kanzleiwesen war in Europa und Böhmen erst im Aufbau, und wie im Nachdenken über Mensch, Tod und Gott war Johannes auch in der Bürokratie ein Modernisierer. Er prägte die Saazer Stadtkanzlei wesentlich und entwickelte sie weiter. Dazu gehörte etwa die Einführung eines Kopialbuches, in das man Urkunden und Verträge für den internen Gebrauch kopierte – die Originale wurden sorgsam verwahrt –, sowie von Formelbüchern, die Mustervorlagen für Urkunden und Briefe enthielten. Heute haben wir stattdessen Vordrucke.

Stadtbuch

Das Kopial- oder Memorabilienbuch ist auch als „Saazer Stadtbuch“ bekannt, es umfasst 137 Pergamentblätter. Die ersten zwanzig Seiten hat Johannes noch selbst geschrieben. Das Stadtbuch trug nicht nur zur Verschriftlichung der Verwaltung bei, sondern wurde auch zu einem Gedächtnis der Stadt. Viele Urkunden, die hier verzeichnet sind, gingen im Original verloren, zum Beispiel die Urkunde zur Stadterhebung.


Außerdem war Johannes Leiter der Saazer Lateinschule (rector scolarum). Latein war die europäische Gelehrtensprache, die man beherrschen musste, wenn man studieren wollte. Das konnte man dann ohne Sprachprobleme in ganz Europa. Die Saazer Lateinschule war 1256 gegründet worden. Hundert Jahre nach Johannes lehrten Prämonstratensern aus Strahov (heute Ortsteil von Prag) hier. Die Saazer Schule hatte unter Humanisten einen hervorragenden Ruf. Lateinschulen wurden vornehm auch „Gymnasien“ genannt.
Johannes war nicht nur ein geachteter Beamter, sondern auch ein wohlhabender Mann, der sein Einkommen mit Obst- und Weinbau aufbesserte. Die Stadt belohnte seinen kreativen Stadtschreiber neben dem Sold mit Privilegien, etwa mit der Erlaubnis, ein Jahr lang mit Wein, Bier und Honig handeln zu dürfen, was anscheinend sehr einträglich war. Von König Wenzel IV. erhielt er die Erlaubnis, von jedem Metzger, der auf dem Saazer Markt Fleisch verkaufte, einen silbernen Groschen zu kassieren. Er konnte sich ein repräsentatives Haus gegenüber der Lateinschule leisten und bekam die Erlaubnis, an der Stadtmauer einen Turm zu bauen, unter dem Vorbehalt, dass dieser im Verteidigungsfalle zugänglich sein musste. Türme waren damals Machtdemonstrationen.

So prächtig war die Klosterbibliothek von Tepl (Teplá) noch nicht, als Johannes hier studierte. Ihre Ausgestaltung zeugt von der Bedeutung es Prämonstratenser-Stifts, die über Böhmen hinausreichte.

1411 – also nach über 35jähriger Tätigkeit – gab Johannes seine Ämter in Saaz auf, um in der neu gegründeten Prager Neustadt leitender Notar (protonotarius) zu werden. In großen Städten war das Stadtnotariat aufgeteilt zwischen einem Älteren, der vor allem als Rechtsgutachter und Diplomat auftrat, während der Jüngere Protokolle und Abschriften anfertigte. Für den sechzigjährigen Johannes kam freilich nur die Position des Amtschefs in Frage.


Richter und Rat der Stadt Saaz entließen ihn „in allergrößter Dankbarkeit“ und bestätigten ihm, dass er sich „durch ehrenhaftes Benehmen, lobenswertes Verhalten, Wahrhaftigkeit und durch alles, was einen ehrenhaften Mann ausmacht, löblich, treu und gerecht verhalten“ habe. Spätestens am 27. Juni trat er sein neues Amt an, und legte umgehend einen neuen Band des Prager Stadtbuchs an, dem er später ein Gerichtsbuch und ein Andachtsbuch folgen ließ. Er wohnte in der Prager Neustadt, wo er ein Haus erworben hatte.
Leider hatte er von diesem Karrieresprung nicht mehr viel. Zwei Jahre nach seinem Umzug erkrankte so er schwer, dass ihm vom Neustädter Rat ein Stellvertreter zugestanden wurde. Er starb zwischen Juni 1414 und April 1415 und hinterließ fünf Kinder, davon drei erwachsene, sowie eine Witwe Klara.
Johannes von Saaz hat literarisch außer dem berühmten Prosatext der „Der Ackermann aus Böhmen“, der geistesgeschichtlich so hohe Wellen geschlagen sollte, nur zehn Verse in einem Offizium („Stundengebet“) hinterlassen, einer Prachtschrift, die er für den neuen Hieronymus- altar in der Stadtkirche von Eger stiftete. Offizien beinhalten Andachtstexte für den geistlichen Tagesablaufs, in diesem Fall mit Bezug auf die Legende vom heiligen Hieronymus. Johannes soll auch an der inhaltlichen Gestaltung mitgewirkt haben.


Den Ruhm, den er durch den „Ackermann aus Böhmen“ erlangte, hat er nicht mehr erlebt. Es handelt sich um die erste neuhochdeutsche Prosadichtung und gleichzeitig um einen der frühesten humanistischen Texte nördlich der Alpen. Größere Verbreitung fand das Werk erst ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod, dann aber mit einer Reihe schnell aufeinander folgenden Handschriften und Druckauflagen. Für diese Verzögerung waren zu einem Gutteil die hussitischen Unruhen schuld, die Philosophie und Poesie durch Kriegsgreuel ersetzten.

Das Saazer Kopialbuch, auch Stadtbuch genannt. In der drittletzten Zeile ist der Name des Stadtschreibers „Johannes Tepla“ (von Tepl) zu erkennen.

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