HUMANISMUS II: DAS BILD VOM MENSCHEN

„Abwechslungsreicher Bildner aller menschlichen Antlitze“, nennt der Ackermann den WeltenschöpferAuf dem Fresko „Zug der Heiligen Drei Könige“ vollzieht Benozzo Gozzoli dies auf kunstvolle Weise nach (in der Kapelle des Palazzo Medici-Riccardi, Florenz um 1460).

Sollte Gottes allmächtige und würdige Hand so ein unreines und unflätiges Menschenbild geschaffen haben, wie Ihr behauptet“, ruft der Ackermann dem Tod zu, „wäre er ein tadelnswerter und schlampiger Schöpfer. Dann gälte auch nicht, daß Gott alle Dinge und den Menschen über alles andere hinaus gut erschaffen hätte!“ Und fuhr fort: „Wo hätte je ein Werkmeister ein so geschicktes und kunstreiches Werkstück, eine so raffinierte kleine Kugel geschaffen wie ein Menschenhaupt?“

Mitglieder der Familie Medici, er gibt auch fast jedem anderen Teilnehmer des Zuges ein unverwechselbares Gesicht.
In der Menge ist auch das Selbstporträt des Künstlers zu entdecken. Auf der Mütze steht: Opus Benotii, „Werk des Benozzo“

Schaut man sich die Kunst der Frührenaissance an, sieht man die Worte des Ackermanns bildhaft umgesetzt. Seit Giotto (1267-1337) beschäftigen sich die Maler in besonderer Weise mit der Gestaltung von Köpfen und Gesichtern. Sie werden, wie der Körper insgesamt, plastischer, „natürlicher“. Die menschlichen Figuren sind nicht mehr einer transzendenten Symbolik untergeordnet, sondern bekommen als

Wesen in dieser Welt ihre eigene Bedeutung. Heilige werden noch durch Gloriolen gekennzeichnet, aber diese wirken nun seltsam fremd wie an die Hinterköpfe geklebte Teller. Fünfzig Jahre später stellt in Böhmen der Meister von Hohenfurth  dann Maria, Jesuskind und die Heiligen Drei Könige ohne Heiligenschein dar wie natürliche Erdenmenschen. Auch künstlerisch gehörte das Land Karls IV. und Johannes‘ von Neumarkt von nun an zur Moderne.

Zweimal die Madonna, vierzig Jahre auseinander: links oben Ambrogio Lorenzetti, „Verkündigung“, 1344. Die heilige Maria lauscht konzentriert der himmlischen Botschaft. Die überirdischen Gloriolen und Engelsflügel sind dezent in den Goldhintergrund eingearbeitet. – Links unten: Rogier van der Weyden, „Der Apostel Lukas stellt die Madonna dar“, nach 1484 (Alte Pinakothek München). Der Künstler malt die heilige Maria als säugende Mutter in ein zeitgenössisches Interieur vor realistischer Flusslandschaft. Der Apostel skizziert dabei ihr Gesicht. Eine humanistische Dekonstruktion der Madonnendarstellung, wie man sie in Zukunft öfter sehen sollte! (Nationalgalerie, Siena)
Ein knappes halbes Jahrhundert liegt zwischen diesen beiden Gemälden (rechte Spalte). Auf beiden ist das Interesse des Malers an der Darstellung der Körper zu erkennen. Oben: Giotto, „Die Heiligen Drei Könige“, 1303. Der Künstler heiligt die Szene durch die Glorienscheine. – Rechts unten: Meister von Hohenfurth (Mistr Vyšebrodský), „Christi Geburt, 1349“ (Nationalgalerie Prag). Maria mit Kind hier in gotischem Ambiente ohne Heiligenschein, aber noch auf Goldgrund. Die innige Szene zwischen Mutter und Kind wird weiter profaniert durch Ziehvater Josef und die Amme, die für ein warmes Bad sorgen. Ochs und Esel, dazu die Schafe des Hirten naturalistisch; rechts mit Wappen der kniende Stifter des Bildes. (Fresko in der Cappella degli Scrovegni, Padua)
Kaiser Karl IV

Zunehmend rückte die profane Welt in den Mittelpunkt des malerischen Interesses. Herrscherdarstellungen gab es schon immer, oft posthum angefertigt, aber selbst bei Abbildungen zu Lebzeiten konnte man an der Ähnlichkeit zweifeln. Das lag nicht an malerischem Unvermögen, vielmehr war die Inschrift wichtiger als die naturalistische Nachahmung. Beim Gesicht Kaiser Karls IV. jedoch, das auf einer gotischen Votivtafel von 1375 zu sehen ist – Johannes war damals wahrscheinlich schon Notar in Saaz –, hat sich der unbekannte Künstler erkennbar um Ähnlichkeit bemüht.

Lebenfreude in der Stadt: Die Freskenfolge im Rathaus von Siena (unten ein Ausschnitt) erzählt von Wohlstand und guter Laune, die eine gute Regierung auf Erden ermöglicht. Obwohl fast hundert Jahre auseinander, vermitteln sie beide das Lebensgefühl der Zeit, in der Johannes von Saaz lebte und aufwuchs. Man war verliebt in die Welt und vergötterte sie geradezu.
„Vertreibung aus dem Paradies“, 1424 (Cappella Brancacci)

Die Porträtmalerei wurde ein beliebtes Genre, nicht nur aus Interesse am Menschen in der Welt, sondern auch aus weltlichem Finanzinteresse: Ein selbstbewusstes, kaufkräftiges Bürgertum und ein stolzer Militäradel sorgte für Nachfrage. Auch porträtierten die Maler sich und ihre Familie jetzt gerne selbst. Vor der schonungslosen Darstellung von Alter und Verfall schreckten sie oft nicht zurück; Individualismus, Realismus und

Putto mit Hund

Authentizität gingen dann vor Schönheit. Der menschliche Alltag, das Familienleben, die Ehefrauen waren es nun wert, dargestellt zu werden. Für diesen Realismus wurde die biblische Geschichte auf die Erde geholt und die Welt vergöttert.

Lebensfreude: Oberrheinischer Meister, „Kleiner Paradiesgarten“, 1410 x 1420 (Städelmuseum Frankfurt).
Das Antlitz des Humanismus, von links nach rechts: (1) , „Rogier van der Weyden (zugeschrieben), „Frauenbildnis“, 1430 (Gemäldegalerie Berlin)..(2).Bildnis eines feisten Mannes“ ,um 1425: die Schönheit der Häßlichkeit (Gemäldegalerie Berlin). (3) Jan van Eyck, „Mann mit Turban“ (Selbstbildnis), 1433 (National Gallery London).(4) Jan van Eyck, Ehefrau Margaret, 1439 (Groeningemuseum Brügge ).

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