DER ACKERMAN AUS BÖHMEN  

Der Ackermann aus Böhmen beklagt den Tod seiner Frau“: Holzschnitt als Titelblatt einer Ausgabe von 1480.

Das Büchlein Ackermann“, wie Johannes sein schmales, für Böhmen epochales Werk nannte, handelt in 33 Kapiteln von der Klage eines „Ackermanns“ gegen den Tod, der ihm seine junge Frau geraubt hat. Der Ackermann beschimpft dabei den Tod als schändlichen Mörder aller Menschen, verflucht ihn und fordert Gott auf, ihn aus der Schöpfung zu tilgen. Der Tod nennt ihn dafür töricht, denn alle irdische Kreatur müsse notwendigerweise zunichtewerden; er selbst – „der Herr Tod“ – sei lediglich „Gottes Hand, ein gerecht arbeitender Mäher“.

Ackermann und Tod am Totenbett der verstorbenen Ehefrau.

„Klage“ ist doppeldeutig: Anklage und Wehklage. Damals war die persönliche Verletzung, der erlittene Schaden der Kern jeder Anklage, die noch nicht zwischen Privatrecht und Strafrecht unterschied. „Auf großes Leid muss große Klage folgen“, erklärt der Ackermann. „Nicht menschlich tät ich, wenn ich solch löbliche Gottesgabe nicht beweinte. Erwägt es selber, ob ich nicht mit Recht zürne, wüte und klage: Von euch bin ich freudenreichen Lebens beraubt, täglicher guter Lebtage enterbt und um allen wonnebringenden Besitz gebracht.“

Diese Illustration bestätigt die Worte des Todes. Papst, Kaiser, Kleriker, Bürger und Bauer erkennen kniend seine Herrschaft an

Der Kläger wendet sich danach an Gott als den Herren des Todes, den er als Räuber anklagt, fordert von ihm für den grausamen Raub an seiner Frau Genugtuung und Buße und verlangt quasi seine Amtsenthebung: „Oh Gott, aller betrübten Herzen Tröster, tröste und entschädige mich armen, betrübten, unglücklichen, vereinsamten Mann! Verhänge, Herr, Strafe, übe Vergeltung, gebiete ihm Einhalt und vertilge ihn, den gräulichen Tod, der dein und unser aller Feind ist! Wahrlich, Herr, in deiner Schöpfung ist nichts Gräulicheres, nichts Scheußlicheres, nichts Schädlicheres, (…) nichts Ungerechteres als der Tod!“

Der Tod hat keine Mühe, zu parieren. Er handle, sagt er, im Auftrag Gottes, „daß wir alles Überflüssige ausroden und ausjäten“. Wenn alles am Leben bliebe, könnte man es bald vor Wölfen und Mücken nicht mehr aushalten, und ein Mensch fräße den anderen. Im Übrigen sei der Tod eine Folge des Sündenfalls. Er sei auch kein Räuber, sondern ein rechtlich verfahrender Richter, der alle gleich behandle, weder Adel, noch Weisheit, noch Schönheit schone, auch Alter und Jugend nicht berücksichtige: „Du fragest, wer wir seien: Wir sind Gottes Werkzeug, der Herr Tod, ein gerecht arbeitender Mäher!“

Der Tod als gerechter Mäher

Der Ackermann hat dagegen wenig zu bieten. Am wirksamsten ist noch sein Vorwurf, der Tod sei ungerecht, weil er immer die Falschen hole: „Eher das Tüchtige als das Untüchtige nimmt er hinweg; die schädlichen, alten, siechen, unnützen Leute lässt er oft hier, die guten und nützlichen rafft er dahin.“

Der Tod hält dagegen, dass er keine Ausnahme macht: „Wenn doch alle Menschengeschlechter, die gewesen sind oder noch sein werden, vom Sein zum Nichtsein kommen müssen: Was sollte die Gelobte, die du beweinst, vor ihnen voraushaben, daß ihr nicht geschehe wie allen andern und allen andern wie ihr? Du selber wirst uns nicht entrinnen, so wenig du auch jetzt dran denkst.“

Schließlich bietet der Tod stoische Lebenshilfe. Der Kläger solle sich doch in das Unwiderrufliche fügen: „Sobald du etwas verloren hast und es nicht wiederbringen kannst, tue, als sei es nie dein Eigen gewesen.“ Es gäbe keine Liebe ohne Leid: „Je mehr dir Liebe wird, je mehr widerfährt dir Leid; darauf laufen alle lebendigen Dinge hinaus.“ Auch habe er der jungen Frau, als er sie hinwegnahm, nur einen Gefallen getan: „ Bei fröhlicher Jugend, bei stolzem Leib haben wir sie in unsere Gnade empfangen. Solches haben gepriesen, danach haben gestrebt alle Weisen, als sie sprachen: Am besten ist es zu sterben, wenn man am liebsten lebt.“

Alles Glück und Unglück endet mit dem Tod

Gottes Schiedsspruch ist relativ kurz und salomonisch. Beide hätten recht und unrecht zugleich: „Jener beklagt, was ihm nicht gehört, dieser rühmt sich einer Herrschaft, die er nicht aus sich selbst hat. Doch der Streit ist nicht ganz ohne Sinn. Ihr habt beide wohl gefochten: Jenen zwingt Leid zum Klagen, diesen die Anfechtung des Klägers, die Wahrheit zu sagen. Darum, Kläger, dir sei die Ehre; Tod, habe den Sieg! Denn jeder Mensch ist pflichtig, dem Tode das Leben, den Leib der Erde, die Seele uns zu geben.“

„Ich bin genannt ein Ackermann, vom Vogelkleide ist mein Pflug“, stellte sich der Kläger dem Tod vor. Ein Stubengelehrter steckt also hinter dem Mann, ein alter Ego des Autors. Das läd zu Spekulationen ein, wie biographisch dieser Text sei. Name und Todestag der Verstorbenen sind ausdrücklich, wenn auch verschlüsselt benannt: Margaretha, 1. August 1400. Doch das Datum ist nicht ohne Bedeutung.  Der Autor selbst gibt den Hinweis darauf. Es sei dies das Jahr, „da die Himmel fahrt offen war“. Es handelte sich also um ein „Jubeljahr“, an dem der Papst einen vollständigen Sündenerlass gewährte. Der 1. August aber ist Petri Kettenfeiertag, zur Erinnerung an die Befreiung des himmlischen Torwächters aus dem Kerker. Dieses Datum ist zweifellos hochsymbolisch und passend für seine literarische Figur, die jung verstorbene Margaretha. Eine Ehefrau dieses Namens ist nicht bekannt.

Přemysl der Pflüger, mythischer Ahnherr des böhmischen Přemyslidengeschlechts, auf einem romanischen Fresko in der Katharinenrotunde in Znaim.

Auch die Figur des Ackermanns ist symbolisch zu verstehen. Sie ist revolutionär, indem sie die Bauern zum tragenden Stand der  Gesellschaft erklärt.  „Als Adam grub und Eva spann, wo war da der Edelmann?“ lautete ein Spruch im englischen Bauernaufstand 1381, der bald durch ganz Europa ging. Zur gleichen Zeit entstand die visionäre Dichtung Piers Plowman („Peter der Pflüger“) von William Langland, theologische Allegorie und Sozialsatire in einem, in welcher der Titelheld den Führer durch die Welt auf der Suche nach Wahrheit macht. In Böhmen verehrte man das Andenken an „Přemysl den Pflüger“, laut dem Chronisten Cosmas der mythische Ahnherr des tschechischen Königsgeschlechts. Die bäuerliche Herkunft gilt in allen Fällen als allegorische Auszeichnung.

Bei Johannes von Saaz bekommt die Figur des Ackermanns einen weite­ren Sinn. Als Sämann, der für Leben, Wachstum und Ernährung sorgt, wird er zum metaphorischen Gegenspieler des tödlichen Mähers, des Schnitters.

Tod, des “schädlichen Urfeinds aller Welt“. Leben und Tod, Welt und Jenseits argumentieren in diesem Streit gegeneinander. Während die mittelalterliche Theologie die Welt als Sündenpfuhl verdammt, ist der Ackermann von Böhmen Symbol für eine Welt, in der „Gott den Menschen und alle Dinge vollkommen gut geschaffen hat“.

Aus der Heidelberger Handschrift

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